Schwarzes Eis, weich zerfließendes Wasser

Gespräch mit dem Fotografen REINHART MLINERITSCH

Viele Ihrer Fotografien wirken, als hätte der Mensch die Erde gerade eben aus einem unerfindlichen Grund verlassen, ganz gleich, ob sie eine Autobahnbrücke im Wald aufnehmen, Plastiksäcke mit Styroporbrocken darin, eine Baustelle oder eine U-Bahn-Station. Kommen die Dinge, kommt die Natur erst dann wirklich zu sich, wenn der Mensch von der Bildfläche verschwunden ist?

Dass ich so selten Menschen aufnehme, hat zuerst einmal technische Gründe. Ich verwende eine Großformatkamera, die ich aufbauen muss. Das dauert bis zu zehn Minuten, und in dieser Zeit verschwinden die Menschen fast automatisch von selbst. Außerdem verstehe ich mich primär als Landschaftsfotograf, als ein Fotograf von Natur, Architektur und Objekten. Was mich allerdings sehr wohl am Menschen interessiert, sind die Spuren, die er in der Landschaft hinterlässt, bauliche Relikte zum Beispiel oder alle Arten von Abfall, von Müll.

In ihren Bildern gruppieren sich verschiedene Abstufungen von Schwärze recht oft um ein Zentrum aus Licht oder um eine Lichtstruktur. Welche Beziehung habe Sie zur Farbe Schwarz, zu Schatten und Licht?

Ich bevorzuge hohe Kontraste. Dafür sind natürlich die Farbe Schwarz und das Weiß in Form des Lichtes sehr wichtig. Häufig finden sich in meinen Bildern helle Linien, zum Beispiel eine weiße Horizontlinie oder eine helle vertikale Objektlinie vor einem dunklen Hintergrund. Nicht nur Schwarz ist wichtig, sondern auch all die Tonwerte, die zwischen Weiß und Schwarz zu finden sind. Durch die analoge Aufnahmetechnik, die eine sehr hohe Bildqualität bietet, lassen sich eine Unmenge an Zwischentönen und damit auch eine sehr gute Haptik erzeugen. Bei vielen meiner Bilder weiß man zudem nicht, ob sie bei Sonnenschein oder in der Dämmerung aufgenommen worden sind. Ich kann ja in der Dunkelkammer die Lichtverhältnisse selbst herstellen, kann zum Beispiel weißes Eis zu schwarzem Eis werden lassen oder auch umgekehrt. Das ist auch der Grund, warum in vielen meiner Bilder etwas Geheimnisvolles steckt. Dabei manipuliere ich meine Bilder nicht, sondern verändere sie bloß. Ich kopiere ja nicht irgendwas digital in das Bild hinein, sondern verändere nur die Lichtverhältnisse. Dadurch ergibt sich eine gewisse mystische Anmutung.

Ihre Fotobücher heißen Velvet Curtain oder Cover of Darkness. Verstehen Sie Ihre Werke als Inszenierungen?

Ja. Fast alle meine Bilder haben einen bühnenartigen Aufbau. Es gibt meist ein Zentrum, einen zentralen Blick auf Architektur oder Landschaft. Allein schon durch die genaue Auswahl des Motivs setze ich es ja von vornherein in Szene. Mit Dokumentationsfotografie oder gar Selfie-Stick-Aufnahmen hat meinen Arbeit also nicht das Geringste zu tun – wobei die Inszenierung auch nicht überbewertet werden sollte. Ich leuchte meine Motive zum Beispiel nie künstlich aus. Die bestehenden Lichtverhältnisse genügen mir.

Eines Ihrer Fotos zeigt dicke Stahlstangen auf einer verlassenen Baustelle. Sie liegen schwarz am Boden. Auf manche dieser Stangen fällt das Licht, als wäre es feiner weißer Staub. Diese Arbeit ist auf einer griechischen Insel aufgenommen worden. Suchen Sie gezielt nach solchen Motiven, oder spüren Sie sie zufällig auf?

Beides. Zum einen suche ich bewusst nach solchen Objekten, zum anderen bestimmt der Zufall, was mir vor die Kamera kommt. Ich habe meine Ausrüstung immer bei mir, entweder am Fahrrad oder im Auto. Ich bin wie ein Sammler, der stets offenen Auges unterwegs ist, und wenn etwas in meine Sammlung passt, dann mache ich ein Bild. In Griechenland werde ich sehr oft fündig, denn dort ist es sehr einfach, das Morbide und das Verfallene zu finden. Es gibt zum Beispiel sehr viele Wohnhäuser oder Hotels, die nie fertig gebaut worden sind. Diese Rohbauten stehen für die nächsten hundert, zweihundert Jahre in der Landschaft wie neue griechische Tempel.

Besonders stark wirken auf mich jene Arbeiten, auf denen Wasser zu sehen ist, Brandung. Trotz der Bewegung der Wellen haben diese Fotos etwas fast hypnotisch Ruhiges, etwas Übergenaues, das mit Hyperrealismus nicht exakt beschrieben ist. Trotzdem kann von Erstarrung nicht die Rede sein. Ist es Ihnen wichtig, mit den Mitteln der Fotografie zu abstrahieren?

Ja, schon die Schwarz-Weiß-Fotografie ist durch den Verzicht auf die Farben ein wesentliches Mittel der Abstraktion. Wasser ist eines meiner Haupthemen. Das bewegte Wasser lasse ich oft durch eine Langzeitbelichtung in weiche Formen zerfließen. Aber auch das unbewegte Wasser fasziniert mich, die Wasseroberfläche, die komplett scharf abgebildet wird und dadurch den Blick durchdringen lässt auf das, was darunter liegt, auf die versunkenen Dinge. Objekte oder organische Strukturen, die sich unter der Wasseroberfläche finden, sind oft das eigentliche Thema meiner Bilder. Wobei das Interessante am Wasser auch eine Art Dreidimensionalität ist: Da gibt es die Wasseroberfläche, den versunkenen Raum darunter und gleichzeitig das, was darüber liegt, was sich in der Wasseroberfläche spiegelt. Diese Thematiken sind für mich so etwas wie ein fotografisches Eldorado.

Wie hat sich Ihre Arbeit in den letzten Jahren entwickelt? Hat es einen Wechsel der Motive gegeben?

Inzwischen mache ich auch Farbaufnahmen, auf digitale Art. Meine Schwarzweißarbeiten entstehen nach wie vor analog. Ich habe jedoch damit begonnen, das Negativ einzuscannen und die Dunkelkammerarbeit am Computer zu erledigen – eine hybride Art der Fotografie sozusagen. Meine Motive sind alles in allem gleich geblieben.

Noch einmal zurück zur ersten Frage: Wäre eine Welt ohne Menschen eine Welt voller guter Motive für Reinhart Mlineritsch?

Sicher nicht. Wie schon gesagt, mich faszinieren die Spuren, die der Mensch hinterlässt, die transitorischen Effekte, die er hervorruft. Deshalb meine Vorliebe für Baustellen und Ruinen. Ich verstehe mich nicht zuletzt als ein Fotograf der entstehenden und der verfallenden Dinge. Das, was dazwischen liegt, ist zwar für mich persönlich wichtig, meine Arbeit hingegen beeinflusst es nur auf indirekte Art und Weise.

Die Fragen stellte Christian Lorenz Müller, 2016