Das Leben der Stadt hinter der Fassade

„Wer in Salzburg fotografiert, muss aufpassen, dass es nicht in Kitsch ausartet”, sagt Reinhart Mlineritsch — und zeigt, wie das geht. Salzburg sei „ausfotografiert”. Die millionenfach abgelichtete Schönheit, das Reproduzieren immer gleicher Blickwinkel und Klischees machte seinen Auftrag, in der Stadt zu fotografieren, nicht einfach.
Unter dem Motto „Leben im Weltkulturerbe” vergibt das Bauamt der Stadt einen Auftrag für fotografische Stadtviertel-Porträts. Mlineritsch, Mitglied im Fotohof, sollte das Kaiviertel und das Nonntal dokumentieren.

Zunächst überlegt er, „etwas über den Tourismus zu machen, auch wenn das gefährlich ist, weil es dazu schon viel gibt”. Aber der Tourismus war ohnehin schnell kein Thema mehr. Er traf — noch ohne Kamera in der Hand — auf ersten Erkundungsspaziergängen im Mai 2019 nämlich kaum Touristen. „Ich sah aber viele Einheimische, die sich grüßten”, erinnert sich der Fotograf. Mlineritsch lebt seit 1979 in Salzburg und er kennt die Gegend, die er fotografieren sollte. Der genaue Blick, zu dem der gebürtige Wiener, Jahrgang 1950, durch den Auftrag im Kaiviertel und im Nonntal gezwungen war, brachte aber doch eine „recht überraschende Einsicht”. Der Blick war frei für eine Urbanität, eine Alltagsbetrachtung, die ganz ohne Klischees auskommt. Es öffnete sich eine Welt, die ganz für sich selbst lebt.

Mlineritsch sah viele kleine Geschäfte und Lokale, in denen die, die sich auf der Straße grüßten, einkauften. Daraus wurde ein Konzept. „Ich wollte die arbeitenden Menschen in ihren Geschäften und Lokal dokumentieren.” Das tut Mlineritsch mit Bildpaaren, die in den nächsten Wochen in einer Ausstellung in der Stadtgalerie Rathaus zu sehen sind. Dazu gibt es ein Begleitprogramm — etwa mit Kunstspaziergängen durch die beiden Viertel.

Mlineritsch porträtiert für seine Serie in den Innenräumen Menschen und wirft dann einen Blick von der Straße auf die Außenseiten der Geschäfte, auf eine größere Umgebung. Innen und außen ergänzen sich. Man kann die Stadt, oder besser: die beiden Stadtviertel, in einer von den sonst erdrückenden Plagen des Tourismus losgelösten Normalität erkennen. Man kann sehen, wer dort arbeitet und lebt, in Gasthäusern, in einer Trafik, in einer Wollstube, in der Metzgerei oder auch in einem legendären Zweiradgeschäft. Während ihm im Kaiviertel vor allem das Geschäftsleben auffiel, kam für Mlineritsch im Nonntal „der Aspekt des Wohnens dazu”. Es sei ihm zum ersten Mal aufgefallen, „wie grün es hier ist und dass es viele schöne Wohnhäuser gibt”. Das Prinzip mit den Bildpaaren behielt er im Nonntal bei. Und in der Ausstellung wurde auch sein Konzept eines Entdeckungsspazierganges beibehalten. Gehängt sind die Bilder so, dass man am Beginn der Kaigasse startet und in der Nonntaler Hauptstraße endet,- ein fotografischer Streifzug durch ein Salzburg, das fern jeder Massenvereinnahmung ganz bei sich selbst ist. (Berhard Flieher, Salzburger Nachrichten, 2022).