Wenn der Mensch verschwindet

Wenn man die Fotos von Reinhart Mlineritsch betrachtet, kommt man leicht ins Träumen. Wie Nachtgesichte kommen sie einem häufig vor, wie Ausschnittvergrößerungen einer vorbewussten Wirklichkeit, wie wir sie gemeinhin nur im Schlafe schauen. Dabei sind die Gegenstände auf den Bildern immer erkennbar und auch ganz real. Aber ob es nun am Fehlen von Menschen auf seinen Kompositionen liegt oder an einem seltsamen Ferngerücktsein durch Überhöhung und Isolierung von Details: Immer weiten sich seine Ansichten ins Surreale. Blätter und Bäume, Strand oder Wald, verlassene Straßen und Räume – sie wirken immer wie mit einer besonderen Bedeutung aufgeladen, wie Gedächtnisorte, symbolschwer und zeichenhaft. Man kommt sofort ins Meditieren, es wird einem kontemplativ zumute, wenn man in diesem Bildband blättert, obgleich vieles auch wirkt wie eine Bühnenansicht, was auch an der oftmals gewählten Guckkastensymmetrie liegt.

Mlineritsch wurde 1950 in Wien geboren, aber wie bei vielen Großstädtern scheint es auch bei ihm eher die Natur, der verlassene Landstrich zu sein, die seine Phantasie ansprechen. Aber gerade dieser Widerspruch kommt seinen hochkünstlerischen Arbeiten zugute: Noch der verlorenste Winkel ist bei Mlineritsch nämlich aufgeladen mit Dramatik. Nie gibt es Stillstand, immer ist auf den Bildern etwas los beziehungsweise man spürt den Nachhall erst kürzlich vergangener bedeutsamer Ereignisse. Vielleicht wird man daher auch so sehr an seine Träume erinnert. Auch diese bleiben einem ja nur im Gedächtnis, wenn sie ereignisreich waren. Nur wissen wir eben leider oft nicht mehr, um was für ein Ereignis es sich eigentlich gehandelt hat. Keine Frage: Es ist viel Geheimnis in Mlineritsch Dunkelheiten. (Tilman Krause, Die Welt, 14. Juli 2007).